Genussmittel

Rohschokolade und Gesundheit

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Seit einigen Jahren wird Rohschokolade immer beliebter. Sie wird aus ungerösteten Kakaobohnen hergestellt. Ihr wird nachgesagt, besonders gesund zu sein. Aber schmeckt sie gleich gut wie die klassischen Gourmetschokoladen der traditionellen und anerkannten Chocolatiers? Kann rohe Schokolade einem Feinschmeckergaumen gerecht werden? Wir gehen der Sache auf den Grund. Vorher jedoch von uns ein kurzer Einblick, was genau unter Rohschokolade zu verstehen ist und was die Idee dahinter ist.

Alle verwendeten Zutaten dürfen während des gesamten Herstellungsprozesses Temperaturen von 46-48 Grad niemals überschreiten, wobei schon während der Fermentation in den Tropen ein Temperaturanstieg bis zu 50 Grad gang und gäbe ist. Bislang gibt es noch keine offiziellen Zertifizierungen oder vergleichbare Siegel für Rohschokolade. Die Einhaltung der Temperaturkriterien durch die Hersteller bleibt daher umstritten. Der Trend zur „Raw Chocolate“ ist vor allem auf die stetig steigenden Zahlen von veganen Rohköstlern zurückzuführen. Rohkosternährung beruht auf dem Prinzip, Lebensmittel möglichst nie über 42 Grad Celsius zu erhitzen, weil sonst wichtige Enzyme zerstört oder zumindest stark beeinträchtigt werden. Diese sollen der Rohkosttheorie zufolge nämlich essenziell für eine gesunde Verdauung und eine gute Gesundheit sein. Aber auch weitere temperaturempfindliche Stoffe wie bestimmte Vitamine, diverse Fettsäuren und Proteine sollen in Mitleidenschaft gezogen werden.

In Bezug auf Schokolade mit einem hohen Kakaoanteil von mindestens 70 Prozent, die bei einem regelmäßigen und moderaten Konsum viele gesundheitliche Vorteile mit sich bringt, soll dementsprechend die rohe Variante noch gesünder sein. So heißt es also, je weniger eine Schokolade verarbeitet wurde, desto gesünder soll sie für uns Sterbliche sein, weil mehr von den gesunden Inhaltsstoffen des Kakaos erhalten bleiben. Die antioxidativen, entzündungssenkenden und gefäßerweiternden Eigenschaften der Kakaosamen können uns vor den gängigsten Zivilisationskrankheiten schützen. Und wer würde denn nicht mit dem Genuss einer feinen dunklen Schokolade gleichzeitig Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und vieles mehr vorbeugen und dann noch als positiven Nebeneffekt ein längeres und gelasseneres Leben haben wollen?

Leider ist es leichter gesagt als getan. Denn die im Kakao vorkommenden Pflanzenstoffe sind für den sehr bitteren und adstringierenden Geschmack „der Speise der Götter“ verantwortlich. Die Kakaobohnen müssen deshalb nach der Ernte fermentiert und anschließend getrocknet werden. Diese Verarbeitungsschritte, die die Kakaobauern vor Ort durchführen, sind äußerst wichtig. Denn erst dadurch können sich die schmackhaften Aromen entfalten, weil Bitterstoffe abgebaut werden. Gleichzeitig geht ein erheblicher Anteil dieser Pflanzenstoffe verloren. Beim milden und unter Kennern begehrten Criollo-Kakao aus Venezuela ist sogar mit Verlusten von bis zu 90 Prozent zu rechnen. Es versteht sich daher von selbst, dass die Verfechter des Rohschokoladenkonzeptes zu Recht durch das Weglassen der Röstung möglichst viele der übriggebliebenen Pflanzenstoffe bewahren möchten. Dabei ist es nicht notwendig, unbedingt ein Anhänger der Rohkostbewegung zu sein, wenn Sie sich gesundheitliche Vorteile bei einer hochprozentigen Schokolade erhoffen möchten. Im Hinblick auf den Erhalt der gesunden Inhaltsstoffe kann nämlich der Chocolatier gar Wunder bewirken. Denn schon mit einer schonenderen Röstung bei etwa 100-115 Grad sind geringere Nährstoffverluste zu erwarten. Wie es scheint, ist es schon ausreichend, eine nur geringfügig niedrigere Temperatur zu wählen. Normalerweise röstet man ja zwischen 120 und 150 Grad. Und wenn man zusätzlich unmittelbar nach der Ernte die ganzen und frischen Kakaofrüchte noch vor der Fermentation eine ganze Woche herumliegen lässt, erhält man als Ergebnis gesündere und zugleich süßere Kakaobohnen. In Kombination mit einer leichten Röstung scheint es demnach eine hygienisch sicherere Alternative zur rohen Schokolade zu geben. Denn bei einer Schokolade aus unerhitzten Rohstoffen besteht immer die Gefahr, sich mit unerwünschten Keimen anzustecken, wenn auch äußerst selten. Spannend wäre zu erfahren, wie groß die geschmacklichen Unterschiede zwischen einer Schokolade aus rohem Kakao und Kakao aus den vorgelagerten Früchten wären, wenn wir die gesundheitlichen Aspekte außen vor lassen würden. Allerdings müsste sich im Idealfall ein renommierter Chocolatier finden, der sich einer solchen Herausforderung stellen würde.

Was die Rohschokolade anbelangt, sollte doch einen Schokoholiker nicht locker lassen, warum bisher namhafte Schokoladenmeister ihr Glück hierin nicht versucht haben. Wollen sie einfach nur kein Risiko eingehen, weil die Gefahr zu groß ist, dass ein nicht zufriedenstellendes Produkt dabei herauskommt? Oder gehen sie möglicherweise nur den Weg des geringsten Widerstandes, indem sie sich überwiegend auf altbewährte Rezepturen und Gewohnheiten stützen, weil sie es nicht anders kennen? Gehört vielleicht Rohkostschokolade nur in die Gesundheitsbranche, weil es durch die fehlende Röstung ohnehin unmöglich ist, eine perfekte Schokolade zu kreieren? Wird gar das Potenzial des neuen Trends zu Unrecht unterschätzt?

Rohe Schokolade ist zwar immer besser verfügbar, das Thema nimmt jedoch kaum jemand wirklich ernst und höchste Qualitätskriterien, wie wir sie bei einer guten Gourmetschokolade gewohnt sind, sind die Ausnahme. Wenn man ehrlich sein soll, kann sich zurzeit neben wenigen kleinen Schokoladenmanufakturen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten ohnehin nur ein einziger Schokoladenhersteller mit den weltweit besten konventionell hergestellten Produkten messen. Das wäre das in Ecuador ansässige tree-to-bar Unternehmen Pacari. Eine perfekt abgestimmte Zusammenarbeit mit den Kakaobauern vor Ort, die Verwendung von feinstem Nacional-Kakao unterschiedlicher Regionen vereint mit hoher Chocolatierkunst sind das Erfolgsrezept. Da nämlich das Rösten dem Kakao aromamäßig den letzten und entscheidenden Feinschliff gibt, so ist es bei einer Schokolade aus ungerösteten Kakaobohnen umso wichtiger, dass sich die Kakaobauern wie der Chocolatier keine Fehler erlauben dürfen. Dass gleichzeitig nur die bestmöglichen Rohstoffe verwendet werden, sollte ebenso selbstverständlich sein. Wenn man sich aber den Markt genauer anschaut, lassen die Zutatenlisten vieler erhältlicher Rohschokoladen viel zu wünschen übrig. Noch viel zu oft handelt es sich in der Regel um keine authentischen Chocolatiers im eigentlichen Sinne, sondern um Unternehmen, die sich auf Rohkostprodukte und Superfoods spezialisieren und nebenbei rohe Schokoladen anbieten. Diese setzen sich meistens aus Kakaobutter, Kakaopulver und natürlichen Süßstoffen wie Agavensirup oder Kokosblütenzucker zusammen. Die entscheidende aromatragende Kakaomasse fehlt oft vollständig, ist nicht Hauptzutat oder ist von minderer Qualität. Das hat dann überhaupt nichts mehr mit Genuss und gutem Schokoladenhandwerk zu tun. Anscheinend fehlt es an Know-how oder man legt keinen großen Wert darauf, geschweige denn es wird bean-to-bar produziert. Auch sollte man hinterfragen, ob diese Unternehmen überhaupt professionelle Geräte und Maschinen besitzen, die unumstritten Teil einer guten Chocolaterie sein sollten. Und durch die Präsenz von stärker verarbeitetem Kakaopulver bleibt ohnehin fraglich, wie groß wirklich der gesundheitliche Nutzen trotz Rohkostqualität ist. Seriöse Schokoladenhersteller mit großem Potenzial im deutschsprachigen Raum, die Rohschokolade von ordentlicher Qualität fertigen, gibt es momentan eigentlich nur zwei. Das wäre das junge Unternehmen Edelmond im brandenburgischen Luckau und die österreichische Schokoladenmanufaktur von Josef Zotter.

Bislang ist es sowieso noch umstritten, ob rohe Schokolade im Vergleich zur normalen Schokolade überhaupt gesünder ist. Hier sollten Sie sich lieber fragen, ob bei Ihnen der Genuss oder die Gesundheit beim Konsum von hochwertiger Schokolade mehr im Vordergrund steht. Wenn die große Vielfalt an besonderen Kakaoaromen, wie sie in guten dunklen Schokoladen zu finden sind, nur eine untergeordnete Rolle einnimmt, können Sie sich ja auch an rohen Kakaobohnen oder Nibs erfreuen. Dass es aber möglich ist, eine hervorragende Schokolade auf Weltniveau aus rohem Kakao herzustellen, haben schon einige wenige Chocolatiers wie vor allem Pacari oder Antidote bewiesen. Wenn Rohschokolade sich tatsächlich als eindeutig gesünder herausstellen sollte und gleichzeitig geschmacklich den besten Schokoladen in nichts nachstehen würde, dann nur her damit. Allerdings müssten sich mehr Schokoladenhersteller trauen, derartige Versuche zu unternehmen. Man hätte mehr Auswahl und könnte durch Vergleiche besser beurteilen, wie aromatisch „Raw Chocolate“ wirklich sein kann. Und für alle Schokoliker zum Trost, die mehr Wert auf guten Geschmack legen, viele großartige Chocolatiers wie Domori, Amano oder Scharffen Berger rösten ohnehin ihre Kakaobohnen sehr schonend und langsam. So bleiben zumindest ohne Einbuße am Geschmack immerhin ausreichend gesundsheitsfördernde Inhaltsstoffe des Kakaos erhalten. – Sebastian Kobylak, Düsseldorf 08.07.2015

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